Sunday, January 13, 2013

Light in Darkness

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Last year I did not experience an usual, european winter. I returned in spring and rather than to experience spring as really spring, subjectively it was rather cold and gloomy. Without winter, spring would not even be half as beautiful as we experience it. I love winter, not only because of that, but also because of its rare days full of light and calm.

Tuesday, January 8, 2013

Gegenüber

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Jetzt sitzt sie still da.
Gerade eben ist sie hereingekommen, hat ihren Platz gefunden, den daneben zur Hälfte für ihre hellbraune Ledertasche reserviert.
Es ist noch früh, draußen ist es dunkel. Ein paar Lampen geben einen gelblichen Schein, man sieht spärlich die Umrisse von Menschen: hin- und hereilend, wartend; während andere frühstücken, langsam aufwachen. Die meisten mit steinernem Gesicht, ohne Lächeln, ohne Reue, ohne Leidenschaft – vielleicht um den schneidenden Wind zu trotzen. Sie nimmt das alles nur halb wahr. Ein flüchtiger Blick reichte ihr schon – als ob vorherige Nacht den heutigen Tag mit allen seinen Ereignissen und Details vorherbestimmte und wie ein Uhrwerk aufzog.
Inzwischen hat sie ein Ringblock mit Worträtseln herausgeholt um sich von dem Rumpeln der Hereinkommenden abzulenken, die einen Zug frostiger Morgenluft mit hereinwehen. Aus dem blassroten Mantel mit dezentem, blauem Karomuster hat sie sich auch befreit – er liegt jetzt eingezwängt zwischen ihr und der Lehne.
Eigentlich ist sie müde. Woher sie kommt? Sie muss schon etwas länger unterwegs sein, vielleicht schon die halbe Nacht. Ihre Gedanken schweifen ab. Sie verliert die Lust am Rätseln und schaut in das Dunkle hinaus. Die Lichter der Stadt entfernen sich stetig. Es ist ruhiger geworden. Sie starrt durch das Fenster, durch den Wind, durch die Nacht, bis alles vor ihren Augen verschwimmt und Teil ihrer Träume ist.
So sieht sie fast zerbrechlich aus, irgendwie gnadenvoll am Leben erhalten. Ihr schmales Gesicht atmet unsichtbar. Manchmal regt sie sich im ungemütlichem Sitz; manchmal schlägt sie die Augen auf um sie gleich darauf wieder zu schließen. Vielleicht um sich unbewusst der Realität zu vergewissern – oder das erste Morgengrauen am Horizont zu erspähen? Wo geht sie eigentlich hin?
Sie ist jung. Ihre dunklen Haare umfließen die rötlichen Wangen. Sie hat nicht viel Gepäck dabei. Vielleicht geht sie heim zu ihrer Familie; oder besucht sie jemand anderes? Morgen ist Heilig Abend. Morgen feiern Millionen die Ankunft des Erlösers. Darauf haben sie 4 Wochen gewartet. Könnte man meinen. Sagen manche. Für viele ist es auf jeden Fall eine Zeit für und mit Familie. Was ihre Gedanken dazu sind?
Inzwischen hat sich die Kulisse geändert. Im Morgenlicht zerrt der Wind an den vereinzelten Baumwipfeln und kräuselt die vielen Seen. Vom letzten Schnee sind nur ein paar kümmerliche Reste übrig. Sie zeigt sich wenig beeindruckt. Sie schaut jetzt die meiste Zeit einfach nur raus. Dabei hört sie Musik. Sie scheint nicht mit irgend jemanden reden zu wollen – sie wartet nur. Ihr regungsloses und ausdrucksloses Gesicht steht wie eine Mauer zwischen ihr und der Außenwelt. Was dahinter liegt? Was hat sie zu dem gemacht, was sie jetzt ist? Hat sie jemals mitgeteilt was da im Innern vorgeht? Träume, Ziele, Enttäuschung, Zweifel? Oder einfach nur Leere? Nein, die Augen verraten’s. Sie ist noch zu jung, dass die Vorhänge des Fensters ihrer Seele ein jegliche Sehnsucht verstecken könnte.
Sie vermeidet jeden Blickkontakt; nur im dem mit herabfließenden Regentropfen hinterlegtem Spiegelbild meine ich – wenn auch nur für einen Moment – sie unmerklich und etwas verlegen auch den meinen zu suchen als ob das regelrechte Überwindung kostet. Ihr tiefes Aquamarinblau quillt geradezu über von unbändigen Lebenswillen. Dieses Verlangen anzukommen, zuhause zu finden in dieser unbeständigen Welt. Sie hat dies noch nie in Worte gefasst oder in Gedanken geformt und sind gerade deshalb realer als sie es sich selbst zugestehen möchte. Nicht-wissend weiß sie doch von diesem untröstlichen und nagenden Geheimnis das nicht nur sie, sondern jeder Mensch in sich trägt. – Verdräng’ das nicht! Übertöne es nicht; verwirf es auch nicht als kindischen Aberglauben!
Wie wäre sie doch verwandelt wenn ihr Gesicht doch mal lachen würde und ihre Augen zu strahlen anfingen! – Sieh’ doch die kleinen Wunder diesen Tages, jeden Atemzuges, der Schneeflocken die schräge, weiße Striche vor das Fenster malen! Sieh’ doch die sonderbare Ernsthaftigkeit, für ein paar Stunden einem Wildfremden gegenüber zu sitzen, der doch die Sehnsucht genauso kennt wie du. Morgen ist Heilig Abend, und wenn alles um dich zerfällt und in dir zu erfrieren droht, bleibt der einzige Grund dieses unerschütterliche und kindliche Wissen, dass es dieses Zuhause gibt, das jenes Kind versprochen hat – drei Jahrzehnte nach seiner Geburt.
Plötzlich steht sie auf, nimmt ihr Gepäck und geht, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Steigt aus.
Nun sitz ich da, starre beklommen auf meine Hände. Über das Flachland peitscht der Wind. Nasse Seeluft mischt sich mit Schneeregen und taucht die vereinzelten Siedlungen in ein trostloses grau. Wir Menschen sind schon sonderbar. Da muss man stundenlang den Blick des Andern ausweichen und auch noch den Mund geschlossen halten, um nicht den Eindruck zu vermitteln, dass man eben nicht alles im Griff hat; dass man selbst auf der Suche ist und um ja nichts von dem bisschen Selbstsicherheit, das wir zu besitzen glauben, hergeben zu müssen. Warum können wir das alles nicht mal zurücklassen und etwas vom eigenen vermeintlichen Halt riskieren, und so ein Teil des andern zu werden? Freuden und Leid teilen; Hoffnung geben? Ist es nicht gerade das, was uns so menschlich macht?
Warum sagen wir nichts? Welche eiskalte Hand hat unser Herz im Griff, die unser Mitgefühl so abhärtet und versteinert? Ist da nicht noch etwas alte Bitterkeit?
Gestern war Heilig Abend. Ich sehe ihr Bild immernoch vor mir, so allein auf der Reise ins Ungewisse, durch Wind und Wetter. Ich wünsche ihr eine wundervolle Zeit, wo immer sie jetzt auch ist. Ja, es werden Schwierigkeiten kommen, Herausforderungen, die sie wachsen lässt; die an ihrem Glauben rütteln werden. Wenn die Flamme in ihr nicht verlischt, so werden die Dornen am Wegesrand mit Blüten besät sein. Ich wünsche mir, dass sie dieses Kind kennenlernt. Nicht als plaudernden Säugling – nein, sondern als liebender, kämpfender und mitfühlender Freund auf ihrer Lebensreise. Und viel mehr wünsche ich mir, dass sie diesen Weg mit ihm weiterschreitet und am Ende tatsächlich dort ankommt, wonach sie sich ihr ganzes Leben sehnte: Zuhause.
© 2013 D. Kröper